Unternehmer-Alltag Was ist Mut? Eine Betrachtung aus Sicht der Wissenschaft … von admin 19.12.2018 19.12.2018 5 Minuten lesen 1,9K Bei Mut denken wir gerne an den Extremsportler, der auf steile Gipfel klettert, sich von Klippen stürzt oder im Höllentempo talwärts rauscht. Was ist aber mit der Entscheidung eines Topmanagers, die unmittelbare Auswirkungen auf ein Unternehmen oder Mitarbeiter hat? Beides ist Mut – und dennoch komplett unterschiedlich. In der Wissenschaft kennt man drei Varianten von Mut: Einerseits kann Mut angeboren sein, andererseits durch Vernunft erworben und in der seltensten Form fehlt es manchen Menschen schlichtweg am Risikobewusstsein. In Untersuchungen wurde bei Extremsportlern festgestellt, dass bestimmte Areale im Gehirn, vor allem das Angstzentrum (Amygdala), in Extremsituationen kaum aktiv werden. Extremsportler verspüren keine Angst, selbst wenn sie an einer Bergkante einen Handstand machen. Eine solche Eigenschaft lässt sich nicht trainieren, sondern ist angeboren. Neurobiologe Bernd Hufnagl vertritt die Theorie: „Fürs Überleben der Säugetiere war es notwendig, dass es in der Gruppe risikofreudigere gab, und das biologische Korrelat dazu lautet: weniger Angst.“ Ganz anders ist das beim erworbenen Mut. Da spielt das Belohnungssystem eine große Rolle. Es schüttet das „Feelgood“-Hormon Dopamin aus. Entweder unmittelbar nachdem man erkennt, dass sich eine Anstrengung ausgezahlt hat, oder – und das ist deutlich weniger bekannt – es wird noch viel mehr Dopamin ausgeschüttet, wenn man seine Verhaltensweisen nicht ändert. Kurz gesagt: Wozu Risiko? Wirtschaftlicher Widerspruch Wirtschaftlich gesehen birgt dieser Prozess aber einen Widerspruch. Alle reden von Innovation und Firmenbosse fordern von ihren Mitarbeitern mutige Entscheidungen. Das mag in den USA funktionieren, wo Scheitern zum Business gehört, aber nicht in einer Kultur, in der das Scheitern verpönt ist. Mutige Entscheidungen gefährden Job und Karriere. Das Angstzentrum schreit „nein“. Deshalb ist es zynisch, wenn ein Unternehmen keine angstfreie Kultur vorlebt und gleichzeitig mutige Entscheidungen verlangt. In so einer Umgebung verlieren selbst jene Menschen den Mut, die prinzipiell aufgrund ihrer Kindheitserfahrungen bereit wären, mehr zu riskieren. Der Mut von BMW verdient Respekt Umso mehr Respekt verdienen Betriebe, bei denen Mut eine Firmentugend bildet. So ein Unternehmen ist zum Beispiel BMW. Der Autohersteller hat sich schon vor zehn Jahren als Erster dazu bekannt, Elektroautos auf den Markt zu bringen, obwohl gar nicht abzuschätzen war, ob der Konsument die Veränderungen gutheißt. Grundvoraussetzung ist, dass in einem Unternehmen alle hinter den Entscheidungen stehen. „Alleine mutig zu sein bringt nichts. Ein Unternehmen muss seine Mitarbeiter befähigen, mutiger zu sein.“ Bei vielen Firmen ist das nicht der Fall und die Mitarbeiter leiden unter großem Druck. Auch wegen der digitalen Permanenz. „Ich versuche aufzuklären, dass Selbstwirksamkeit die Symptome lindern kann“, sagt Neurobiologe Bernd Hufnagl, der oft als Speaker für hirngerechtes Arbeiten und Führen engagiert wird. Entschleunigung lautet das Zauberwort. „Auf individueller Ebene halte ich Entschleunigung für machbar, global hingegen nicht, weil Druck und Stress ursächlich durch Globalisierung und Finanzmarktlogik entsteht. Das kann niemand alleine abdrehen.“ Mut impliziert Emotionen und Verstand Aus psychologischer Sicht gesehen ist Mut eine Charaktereigenschaft, die in der Mitte von Leichtsinn und Mutlosigkeit liegt, wobei sich keine klare Grenze ziehen lässt. Während Leichtsinn ein Handeln ohne Verstand ist, bedeutet Mutlosigkeit das Resultat der eigenen, unüberwindbar erscheinenden Emotionen. Mut impliziert also beides: Emotionen und Verstand. „Das Charakteristische ist, dass sich bei einer mutigen Handlung der Ausgang nicht voraussagen lässt und es auch negative Konsequenzen geben kann“, konkretisiert der Klinische Psychologe und Gesundheitspsychologe Universitätsprofessor Michael Trimmel. „Nur wo eine Bedrohung aus einer Handlung folgen kann, ist Mut entscheidend.“ Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe Universitätsprofessor Michael Trimmel ( © Walter Skokanitsch) Auf der Suche nach dem Kick In der Forschung hatte das Thema Mut bis vor Kurzem keinen großen Stellenwert, behauptet Trimmel, der 45 Jahre an der MedUni Wien als Wissenschaftler arbeitete. „Die Psychologie betrachtet Mut als eine Emotion und bis auf Angst waren Emotionen lange keine großen Forschungsgegenstände in der Psychologie, weil sie schwer handfest zu objektivieren sind.“ Außerdem tummeln sich im Umfeld des schwammigen Begriffs zahlreiche andere Konstrukte, die ähnliche Eigenschaften aufweisen, aber greifbarer und ausgiebig erforscht sind. Der Universitätsprofessor zählt neben Angst auch Optimismus, Willenskraft (Volition) und Sensationsgier dazu. „Bei Letzterem sucht man bewusst die Aufregung – den gewissen Kick. Das kann sowohl eine physiologische Erregung als auch eine kognitive Aktivierung sein“, meint der Psychologe. Mut ist philosophisch belegt Bei Aristoteles zählte Mut zu den wichtigsten Tugenden. Aber die Vorstellung der Antike ist überholt. „Mut ist keine Tugend, sondern eine gerichtete Motivation zu einer Handlung. Mutige Entscheidungen müssen nicht von Haus aus positiv motiviert sein. Sie können für andere verheerende Folgen haben“, sagt Trimmel, der beobachtet, dass sich die Begrifflichkeit von Mut im Laufe der Zeit verändert hat. Gehörte das Wort vor zweihundert Jahren noch deutlich intensiver zum Wortschatz der Literaten, tauchen heute verstärkt Synonyme auf. „Es ist fast schon salonfähig, wenn man behauptet, jemand hat Eier in der Hose“, schmunzelt der Psychologe und weist darauf hin, dass auch der Sinn des Begriffs im Wandel ist. „Mutig zu sein kann heute auch bedeuten, etwas nicht zu machen. Das geht vom ursprünglichen Konzept schon eher in die Richtung einer Dominanz der Vernunft, bzw. der Betonung von Kognition.“ Nachhilfe in Sachen Mut Die Charaktereigenschaft Mut lässt sich von klein auf fördern. „Lernen kann zum einen nach klassischem Konditionierungsmodell erfolgen, durch Verstärkung von Handlungen (operante Konditionierung) oder durch Lernen am Modell, wenn zum Beispiel die Eltern Zivilcourage vorleben“, sagt Universitätsprofessor Erich Kirchler, Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie: Arbeit, Bildung, Wirtschaft. „Es gibt noch weitere Lernformen, etwa kognitiv, Überlegungen über Vor- und Nachteile und Risikoentschärfungsoperatoren.“ Mut kann aber auch noch im Erwachsenenalter trainiert werden. „Etwa die Courage, sich für Schwächere einzusetzen, die von anderen attackiert werden. Der Mut, die Angst vor sich selbst zu überwinden oder sich in einer Gruppe zu blamieren. Der Mut, seine Stimme zu erheben, auch wenn Gegenwind droht“, so der Wirtschaftspsychologe. Angst und Mutlosigkeit in Form von Phobien, wie zum Beispiel Schlangenphobie, versucht die Psychologie in therapeutischen Interventionen zu begegnen. ArbeitsalltagMotivationSelbstständigkeit 0 FacebookTwitterLinkedinEmail voriger Beitrag Investitionsbedingten Gewinnfreibetrag nutzen – eine Planungsrechnung hilft dabei nächster Beitrag Genossenschaften – innovativ und nachhaltig Ähnliche Artikel Konfliktstrategien 28.10.2024 Erfolgreiches Networking: Kontakte knüpfen leicht gemacht 09.09.2024 Teilzeitbeschäftigung in Österreich 03.09.2024 Generationenwechsel: Erfolgreiche Unternehmensübergabe leicht gemacht 23.08.2024 Frauen bringen Schwung in Österreichs Wirtschaft 21.08.2024 Österreichs Startup-Szene 06.08.2024 Zeitmanagement 30.07.2024 Projektmanagement 19.07.2024 Umgang mit Konflikten im Job 01.07.2024 10 Resilienz-Strategien für Leader 26.06.2024